Impulse aus Amsterdam – Interview mit Jan Janzen

Von: Catharina Tasyürek / 27.08.2014

Im Juni fand der sechste europäische AMEC Summit on Measurement in Amsterdam statt, communicationcontrolling.de berichtete bereits über die Kernergebnisse, den User Guide und das MAIE-Modell. Dr. Jan Janzen, Leiter der Abteilung „Analyse“ bei Ausschnitt Medienbeobachtung, war selbst vor Ort.

Mit communicationcontrolling.de hat Janzen über seine Eindrücke des Kongresses gesprochen. Er verknüpft diese mit seinen persönlichen Erfahrungen aus der Praxis. 


cc.de: Herr Dr. Janzen, Sie haben kürzlich am diesjährigen europäischen Summit on Measurement in Amsterdam teilgenommen. Was sind für Sie die Kernergebnisse? Was nehmen Sie von dem Kongress für die praktische Arbeit mit?

Jan Janzen: Drei Trends habe ich auf dem Kongress ausgemacht. Erstens: Social-Media-Auswertungen sind nach wie vor die Innovationstreiber in der Medienevaluation. Neu ist aber: Die Innovationen entstehen nicht mehr nur aus den Schwierigkeiten des Umgangs mit riesigen Datenmengen, sondern durch die Notwendigkeit, die Analysedaten aus den sozialen Medien mit Daten aus anderen Quellen zu verknüpfen, zum Beispiel mit Besuchs- und Konversionsraten von Webshops. Das ist eine durchaus logische Entwicklung, da immer mehr Social-Media-Anwendungen inzwischen Schnittstellen zum E-Commerce besitzen und der Erfolg hier möglichst ganzheitlich getrackt werden will. Ein gutes Beispiel hat Sam Flemmings, Gründer und CEO von CIC, in seinem Vortrag geliefert. Er hat über neue Funktionen der Anwendung „WeChat“ berichtet. Hier können Nutzer Taxis bestellen und über eine integrierte Kreditkartenschnittstelle auch gleich bezahlen. Und auch Chris Foster, Vizepräsident von Booz Allen Hamilton, plädierte für die Integration verschiedener Datenquellen, um das Kundenengagement in Bezug auf Marken belastbar messen zu können.
Der zweite wichtige Trend hängt mit dem Titel des diesjährigen Summits: „From Measurement to Insights“ zusammen. Beratungs- und Analyseleistungen sollten Hand in Hand gehen, um größtmöglichen Erkenntnisgewinn sicherzustellen. Dieser Trend zeichnete sich hauptsächlich in den Vorträgen ab, die der Analyse klassischer Medien gewidmet waren. Die gestiegene Bedeutung von Beratungsdienstleistungen hängt nicht zuletzt mit dem Aufstieg der sozialen Medien und den daraus entstehenden neuen Analysemethoden und immer neuen KPIs zusammen.
Und drittens: Die oft als trocken verpönten Analyseleistungen treten nun in attraktiveren Gewändern auf. Ein Highlight für mich war der Vortrag von Matt Neale, Co-Geschäftsführer von Golin Harris, über Relevanzmessung. Es wurde ein Untersuchungsrahmen vorgestellt, mit dem die Relevanz von Marken hinsichtlich der Konsumentenbedürfnisse überprüft werden kann. Das Analyseverfahren wurde als Kampagne aufgesetzt – #hoffornot –, in der die Relevanz David Hasselhoffs mit der anderer Schauspieler verglichen wurde. Der animierte Kampagnenfilm kam dann sogar inklusive eines Auftritts Haselhoffs und seines ehemaligen Mitstreiters K.I.T.T. auf dem Marketingfestival in Cannes zur Aufführung.

cc.de: Sie leiten die Abteilung Analyse bei Ausschnitt Medienbeobachtung und waren zuvor für die Social-Media-Evaluation zuständig, kennen also das ganze Medienspektrum recht gut. Auf der Konferenz in Amsterdam war eines der Kernergebnisse, dass Social-Media-Monitoring immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Das hört man ja seit langem und es scheint nichts Neues zu sein – ist dennoch etwas dran an dieser Aussage?

Jan Janzen: Social Media Monitoring birgt nach wie vor viel Innovationskraft. Viele der vor einigen Jahren komplett neuen Aspekte wie zum Beispiel der flächendeckende Einsatz von Text-Mining-Tools sind zwar inzwischen in der breiten Anwendung angekommen, aber es entstehen hier dennoch nach wie vor neue Impulse. Vorhin schon erwähnt hatte ich beispielsweise die  Herausforderung, Analyseergebnisse mit weiteren Unternehmensdaten zu verknüpfen.
Social Media werden zudem wichtig bleiben, schlicht und einfach aufgrund der weiter wachsenden Menge an Plattformen und Messgrößen sowie aufgrund von länderspezifischen Unterschieden.
Nach wie vor gibt es auch größeren Klärungsbedarf im Social Media Measurement selbst, wie das gleichnamige Panel am zweiten Tag deutlich machte. Hier ging es unter anderem um die Differenzierung von „Earned“, „Owned“ und „Paid Media“. Die Einteilung ist nicht immer klar. Zum Beispiel wurde diskutiert, wie mit Nutzerkommentaren in einem Firmenblog umzugehen ist, da der Blog klar „Owned Media“ zuzurechnen ist, Nutzerkommentare an sich aber eher als „Earned Media“ klassifiziert werden müssten. Auch wenn die Frage nicht final geklärt wurde, war insgesamt ein großer Wunsch nach Standardisierung von Analysemetriken spürbar. Erste Ansätze liegen vor, etwa in Form des AMEC Social Media Measurement Framework User Guide.

cc.de: Auf dem Kongress wurde außerdem der Appell an Unternehmen und PR-Agenturen gerichtet, die Barcelona Principles, die Grundregeln für gutes Kommunikations-Controlling enthalten, in der Praxis mehr zu berücksichtigen. Wie fällt Ihre Bewertung der Principles aus? Glauben Sie, der Appell ist berechtigt?

Jan Janzen: Der Grundimpuls der Barcelona Principles ist natürlich richtig. Das Streben nach Transparenz und Imitierbarkeit, die Aussage, dass nur eine durch messbare Ziele fundierte PR-Evaluation zu belastbaren Lösungen führt und die Fokussierung auf inhaltliche Ergebnisse anstelle reiner Clippingmengen, dagegen gibt es nicht zu sagen. Und die Mehrheit der PR-Profis beherzigt diese Grundprinzipien meiner Erfahrung nach. In der Diskussion bzw. in dem Appell schien es mir vielmehr darum zu gehen, dass oftmals noch der Werbeäquivalenzwert als Kennzahl zur Erfolgsmessung herangezogen wird. Dieses hartnäckige Abarbeiten am Werbeäquivalenzwert kann ich allerdings vor dem Hintergrund meiner täglichen Arbeitspraxis nicht nachvollziehen: Einerseits wird der Werbeäquivalenzwert inzwischen durch die Vielzahl verbreiteter KPIs bereits in einen Kontext gestellt und nicht länger als isolierte Kennzahl gesehen. Andererseits erkenne ich bei vielen Kunden auch eine profunde Kenntnis über die Risiken und Unwägbarkeiten dieser Kennzahl.

cc.de: Vieles was die Prinzipien aussagen – messbare Ziele setzen, Wirkungen messen, Transparenz herstellen – sind einfache Standards der empirischen Sozialforschung und eigentlich gar nichts Neues. Insofern ist nicht ganz klar, warum sich viele Kommunikatoren offenkundig so schwer tun, diese zu berücksichtigen?

Jan Janzen: Mit Evaluationsthemen wie Standardisierung, Nachvollziehbarkeit und Messbarkeit rennt man bei fast allen PR-Verantwortlichen offene Türen ein. Die hin und wieder etwas zu pauschal geäußerte Kritik, der zufolge die Principles immer noch nicht genügend Beachtung finden, adressiert meines Erachtens inzwischen weitestgehend die vermeintlich zu hohe Verbreitung des Werbeäquivalenzwerts als Kennzahl.

cc.de: In Amsterdam wurde außerdem versucht, mit dem AMEC Social Media Measurement Framework User Guide eine konkrete Hilfestellung für die adäquate Messung von Social-Media-Aktivitäten zu entwickeln. Wie fällt Ihr Urteil über den User Guide aus? Wie würden Sie ihn in bestehende Bezugsrahmen einordnen?

Jan Janzen: Leider gibt es beinahe ebenso viele Bezugsrahmen für die Social-Media-Analyse wie Anbieter am Markt. Da kommt der Versuch einer Standardisierung, wie ihn der User Guide versucht, gerade recht. Dieser Versuch, verschiedenste Standards unter einen Hut zu bringen, erklärt dann aber auch seine Abstraktheit: Konkrete KPIs werden nicht vorgeschlagen, sondern generelle Tipps zur Frage, wie man sich adäquaten Messgrößen zuwendet, gegeben. Positiv am User Guide finde ich, dass er „Paid/Owned/Earned“ als wichtiges Unterscheidungskriterium einbezieht. Ebenfalls meine volle Unterstützung haben die beiden Aussagen, dass man versuchen sollte, sich auf möglichst wenige KPIs zu beschränken und dass man keine Größe messen sollte, nur weil man sie messen kann. Auch der Versuch eines Schulterschlusses mit dem Marketingcontrolling in Form einer Modellierung von Kaufentscheidungsprozessen ist zu begrüßen.
Im nächsten Schritt sollte der AMEC User Guide nun weiterentwickelt werden im Hinblick auf die sinnvolle Verknüpfung von KPIs für die Social-Media-Analyse mit Kennzahlen, die andere Kommunikationsmaßnahmen evaluieren.
Einen kleinen Wermutstropfen gibt es: Den User Guide könnte man auch so verstehen, als sei es angemessen, bei jeder neuen Kampagne die Suche nach einem Evaluationsrahmen von vorne zu beginnen. Sicherlich haben die meisten Kampagnen ihre Besonderheiten, aber dennoch ist es wichtig, die Performance verschiedener Kampagnen miteinander vergleichen zu können. Allein aus diesem Grund sollte man versuchen, derart verdichtete KPIs zu wählen, dass sie sich bei verschiedenen Kampagnen zum Einsatz bringen lassen.

cc.de: Wie bewerten Sie den Ansatz von Jim Macnamara und seinem MAIE-Modell, das ebenfalls in Amsterdam vorgestellt wurde? Das Modell möchte mit Hilfe qualitativer Methoden die üblichen Hindernisse bei der Etablierung von Kommunikations-Controlling-Standards in der Praxis überwinden. Denken Sie, dass das MAIE-Modell dazu in der Lage ist und nennenswerte Fortschritte bietet?

Jan Janzen: Jim Macnamara von der University of Technology in Sydney wirbt mit seinem MAIE-Modell für einen stärkeren Einsatz qualitativer anstelle quantitativer Modelle im PR-Controlling und für eine größere Skepsis hinsichtlich mathematischer Modellbildungen. Seine wesentliche Forderung lautet, von rein deskriptiven Beschreibungen mehr zu prospektiven Konzepten und Handlungsempfehlungen überzugehen. Das halte ich für gut und richtig – und vor allem für praxisnah: Bei AUSSCHNITT spürten wir im letzten Jahr eine stärkere Fokussierung unserer Kunden auf qualitative Aspekte in der PR-Evaluation. Ausufernde Kennzahlentabellen treten in den Hintergrund zugunsten prägender Themen und Handlungsempfehlungen. Als Macnamara in seinem Vortrag die Konfrontation verschiedener Analyseergebnisse untereinander zur Erlangung wirklich belastbarer Resultate beschrieb, war ich sehr beeindruckt.
Auf der anderen Seite halte ich als Mathematiker sehr viel auf die Aussagekraft und Präzision mathematischer Modellbildungen. Die Mathematik verfügt über ein beinahe unerschöpfliches Arsenal von Strukturmodellen, das bislang für jeden noch so komplexen Sachverhalt eine Repräsentation in petto hatte. Insbesondere in der Rekonstruktion sprachlicher Entitäten, die für die PR-Evaluation von großer Relevanz sind, wurden durch die formale Linguistik und Semantik in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt. Hinsichtlich der Entwicklung einer intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von Erhebungen sowie einer Begrenzung auf wenige transparente und umfassende KPIs halte ich das mathematische Instrumentarium also für unverzichtbar.

cc.de: Kommen wir nochmal auf die Social-Media-Evaluation zurück. Wo stehen wir derzeit in Deutschland, auch im internationalen Vergleich, und wo sehen Sie aktuelle Herausforderungen und Handlungsbedarf?

Jan Janzen: Wir stehen in Deutschland besser da als zumeist angenommen. Kritisiert wird, dass wir im Bereich SCRM (Social Customer Relationship Management) nicht auf Augenhöhe mit den Bemühungen im angelsächsischen Sprachraum sind. Dafür gibt es eine einfachen Grund, nämlich die Rechtslage: Warum sollen wir elaborierte Umgebungen für Ansätze entwickeln, die in Deutschland sehr wahrscheinlich – weder heute noch langfristig – rechtskonform sein werden? Allerdings müssen wir in Deutschland darauf achten, dass wir bei den technologischen Entwicklungen, die zur Umsetzung von SCRM-Anwendungen angestoßen werden, nicht abgehängt werden. In den meisten Fällen erweisen sich diese Tools auch als leistungsfähig in anderen Anwendungsbereichen.
In fast allen anderen Fällen, wie zum Beispiel der momentan diskutierten Verknüpfung von Social-Media-Kennzahlen mit anderen für den Kunden relevanten Daten, sind wir meines Erachtens auf Augenhöhe: Die Zusammenführung von „Paid“, „Owned“ und „Earned Media“ sowie die Integration von Webanalyse-Daten und verschiedene ROI-Berechnungen sind für uns bei AUSSCHNITT an der Tagesordnung. Auf Fragen zur Integration von Medienanalysedaten und solchen des Marketingcontrollings haben wir eigentlich immer eine Antwort. Auch hinsichtlich der beim diesjährigen Summit besonders präsenten Beratungsleistungen sehe ich die Branche in Deutschland auf einem guten Kurs. Die von Macnamara erhobene Forderung, nicht bei deskriptiven Ergebnissen stehen zu bleiben, ist vielen Analysten bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Auch die Professionalisierung der PR-Studiengänge hat zu einer gestiegenen Qualität beigetragen.

cc.de: Vielen Dank für das Gespräch!


Über Jan Janzen

Dr. Jan Janzen ist seit Juli diesen Jahres Leiter der Abteilung „Analyse“ bei Ausschnitt Medienbeobachtung, einem der führenden Anbieter im Markt der Medienbeobachtung und Medienresonanzanalyse in Deutschland. Zuvor war er dort anderthalb Jahre als Leiter „Social Media Evaluation“ tätig. Frühere Stationen waren die Berliner Agenturen Aperto Plenum und aserto. Janzen hat Mathematik und Philosophie studiert und wurde mit einer Arbeit zur Logik und Argumentationstheorie promoviert. 


--> zurück zu Praxiswissen.


deutsch english

Eine Initiative von:

Werbung