Quo vadis, PR-Evaluation? – Interview mit Tom Watson

By: Anika Müller und Catharina Tasyürek / 16.07.2014

Wo und wann liegen die Anfänge der Public Relations-Messung und Evaluation? Welche Unterschiede bestehen zwischen deutschen und angloamerikanischen Konzepten der Steuerung und Evaluation? Welchen Herausforderungen müssen sich Methoden der Erfolgsmessung zukünftig stellen? Professor Tom Watson gibt im Interview spannende Einblicke in die Geschichte der PR-Evaluation und wagt zudem einen Blick in die Zukunft.

Watson gilt international als einer der führenden Köpfe im Themenfeld. Er lehrt an der Bournemouth University in Großbritannien und hat kürzlich zusammen mit Koautor Paul Noble die dritte Auflage seines Buches „Evaluating Public Relations. A Guide to Planning, Research and Measurement“ veröffentlicht. communicationcontrolling.de sprach mit Tom Watson anlässlich seines Besuches an der Universität Leipzig.

cc.de: Professor Watson, Sie konzentrieren sich auf wichtige Forschungsthemen wie Mess- und Evaluationsverfahren, deren Geschichte und zukünftige Herausforderungen. Wann würden Sie sagen hat der Prozess des Kommunikations-Controllings begonnen und wo stehen wir heute? Können Sie uns relevante Durchbrüche oder Wendepunkte in der Entwicklung der PR-Messung nennen?

Tom Watson: Public Relations-Messung und Evaluation schaut auf eine lange und recht fragmentierte Geschichte zurück. Die US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen Margot Opdycke Lamme und Karen Miller sind der Ansicht, dass die Anfänge des Medien-Monitorings sich auf die Zeiten von Präsident George Washington in den 1780er Jahren zurückdatieren lassen. Im 19. Jahrhundert kamen in Amerika die ersten Ausschnittbüros auf und wurden sehr schnell zu Medienbeobachtungs-Agenturen, da Firmen und ihre Netzwerke größer wurden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das organisierte Beobachten der Medien in den USA bereits Standard. Eines der frühen Messinstrumente wird in Scott Cutlips Buch „The Unseen Power. Public Relations. A History“ beschrieben: Die erste bekannte Public Relations-Agentur in Amerika – das „Publicity Bureau of Boston“ – hat Anfang des 20. Jahrhunderts ein sogenanntes „Barometer“ entwickelt, um Publikationen und Interessen einzelner Herausgeber strukturiert darzustellen.
In Deutschland hat Public Relations von Regierungen erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen. Gegen Ende dieses Jahrhunderts fingen dann auch große Unternehmen wie Thyssen und Krupp oder Chemiekonzerne an, professionelle Public Relations zu betreiben. Obwohl wir diese Aktivitäten aus der heutigen Sicht am treffendsten mit Pressearbeit beschreiben würden, betrieben diese Firmen bereits in den Anfängen ein Monitoring. Die ersten Belege für organisierte Medienbeobachtungs-Agenturen und das verbreitete Nutzen des Werbeäquivalenzwertes als Kennziffer lassen sich in Nordamerika und Großbritannien in der Mitte des 20. Jahrhunderts finden.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Geschichte der PR-Evaluation nicht von großen Durchbrüchen gekennzeichnet war. Vielmehr zeichneten sich graduelle Veränderungen mit zwei oder drei Meilensteinen ab. Einer davon ist definitiv das Buch „Effective Public Relations“ von Cutlip und Center als das früheste und wahrscheinlich bekannteste Lehrbuch, dass das Thema PR-Controlling aufgriff. Die 1970er Jahre waren eine weitere wichtige Phase. Zu dieser Zeit wurde sehr viel über Messung und Evaluation diskutiert, hauptsächlich initiiert von Professor James Grunig von der Maryland University. Dies gab den Anstoß für zahlreiche Publikationen von Konzepten oder Fallstudien sowohl von Wissenschaftlern als auch von Praktikern.
In Europa und besonders im Vereinigten Königreich war der Fortschritt weitaus langsamer. Doch auch hier wurde in den späten 1990er Jahren die „Association for the Measurement and Evaluation Communications“ (AMEC) als Branchenorganisation von Medienbeobachtungs-Dienstleistern gegründet.
Meiner Meinung nach können wir also drei Hauptstationen feststellen: Die frühe theoretische Arbeit von Cutlip und Center, der Wunsch, Modelle und Methoden für die Praxis zu entwickeln gegen Ende des 20. Jahrhunderts und der große Schritt 2010, als die AMEC die „Barcelona Declaration of Measurement“ veröffentlichte.

cc.de: Sie sind nun Professor für Public Relations an der Bournemouth University, aber ihre Karriere beinhaltete auch Zwischenstopps im Journalismus und in der PR in Australien und Großbritannien. Würden Sie von Ihrem Standpunkt aus sagen, dass es große Unterschiede zwischen der historischen Entwicklung in Europa – besonders in Deutschland – und der in anglo-amerikanischen Ländern gab? Sehen Sie Unterschiede in beiden Forschungstraditionen und Ansätzen, die bis in die heutige Zeit reichen?

Tom Watson: Es lassen sich auf jeden Fall Unterschiede zwischen den Entwicklungsprozessen in Europa und Deutschland und den anglo-amerikanischen Ländern ausmachen. Diese begründen sich hauptsächlich in den verschiedenen kulturellen, politischen und sozialen Situationen.
Lassen Sie mich mit der anglo-amerikanischen Seite beginnen. Public Relations entstand hier hauptsächlich aus der Pressearbeit. Dies führte dazu, dass PR auch heute noch im Kern auf dem Publicity-Modell aufbaut. PR wird also als eine Form der persuasiven Kommunikation angesehen. Demzufolge lässt sich in diesen Ländern weniger strategische Organisationskommunikation feststellen. Die Forschung dazu ist eher pragmatisch, das bedeutet, dass soziologische und anthropologische Ansätze weitgehend rar gesät sind.
Im Gegensatz dazu ist die PR-Forschung in Deutschland seit jeher von soziologischen und philosophischen Einflüssen geprägt, zu nennen sind hier Theorien der Öffentlichkeit oder des öffentlichen Diskurses. Diese Konzepte existieren schlicht nicht in der anglo-amerikanischen Forschungstradition.
Die Forschungsgemeinschaft ist erst seit kürzester Zeit dabei, diese Unterschiede zu untersuchen. Anfang Juli fand diesbezüglich beispielsweise die „International History of Public Relations Conference“ bei uns in Bournemouth statt, an der Redner aus vielen verschiedenen Ländern beteiligt waren.
Alles in allem lässt sich dennoch feststellen, dass die amerikanische Sichtweise auf Public Relations die Forschung dominiert. Es lässt sich ein weltweites PR-Verständnis konstatieren, dass mehr oder weniger dem amerikanischen Persuasiv-Modell entspricht.

cc.de: Professor Watson, lassen Sie uns einen Sprung in die heutige Zeit machen. Die dritte Auflage Ihres Buches „Evaluating Public Relations. A Guide to Planning, Research and Measurement“ wurde gerade veröffentlicht. Der Titel beinhaltet sowohl das Wort „planning“ als auch „research“ and „measurement“. Welche Rolle spielt Kommunikations-Controlling bei der Planung von erfolgreicher Kommunikation oder sogar beim Festlegen der übergreifenden Unternehmensstrategie?

Tom Watson: Meiner Meinung nach kombiniert Kommunikations-Controlling zwei Traditionen: Den Planungskreislauf und die drei von Walter Lindenmann geprägten Wirkungsstufen der Evaluation „Output“, „Outtake“ und „Outcome“. Die vierte Stufe, das „Outflow“, wurde erst nachträglich im Jahr 1996 von dem Schwedischen PR-Verband hinzugefügt und beschreibt die Wertschöpfung durch Kommunikation.
Kommunikations-Controlling vereint die Konzepte der „research“, „planning“ und „measurement and evaluation“. Als sehr anspruchsvolles Konzept, ist dieses für den gewöhnlichen PR-Praktiker – der eher dazu neigt sich ausschließlich auf der „Output“-Ebene zu bewegen und die anderen Level des internen und externen „Outtake“ sowie „Outcome“ und erst recht den „Outflow“ unbeachtet lässt – oftmals zu komplex.

cc.de: Sie und Ihr Koautor Paul Noble diskutieren in Ihrem Buch eine große Bandbreite von Methoden und neuen Industriestandards. Können Sie die Kernideen kurz zusammenfassen? Inwieweit unterscheidet sich die dritte von früheren Auflagen?

Tom Watson: Die dritte Auflage unseres Buches betont viel stärker die Stufe des „Outflow“. Die Wertschöpfung durch Kommunikation stand nicht immer im Mittelpunkt des Interesses. Zu der Zeit, in der die erste Auflage veröffentlich wurde – im Jahre 2005 – lag der größte Schwerpunkt noch auf der Presse- und Medienarbeit. Wir haben in der dritten Auflage immer noch ein Kapitel, das die Basismethoden der PR-Messung und Evaluation behandelt. Natürlich wurde dieses überarbeitet und erneuert, doch trotzdem wird es immer noch gebraucht, da gerade kleinere Organisationen sich auf diese Methoden konzentrieren. Infolgedessen dreht sich der größte Unterschied zwischen den Auflagen rund um das Konzept der „Wertschöpfung“. Doch gerade hier sehen wir die Zukunft des Kommunikationsmanagements und Kommunikations-Controllings. Obwohl die Diskussion um das Thema „Wertschöpfung durch Kommunikation“ mittlerweile besonders in Bournemouth und Leipzig angeregt geführt wird, muss man immer noch eine mangelhafte Adaption in der Praxis konstatieren. Trotzdem ist ein Fortschritt erkennbar. Vor zehn Jahren hat noch niemand in der Praxis die Wichtigkeit von Public Relations-Messung erkannt, weder Zeit noch Budget waren für diese Tätigkeit vorgesehen. Dagegen ist die Akzeptanz bis zum heutigen Tag definitiv gestiegen: PR-Praktiker und Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass es wichtig ist zu evaluieren, was man tut.

cc.de: Offensichtlich ist Social Media mittlerweile ein wesentlicher Teil unseres täglichen Lebens, der großen Einfluss auf unsere Denkweisen und Handlungen hat. Somit ist es keine große Überraschung, dass Unternehmen und Agenturen Social-Media-Aktivitäten messen wollen. Vor welchen Herausforderungen sieht sich das Kommunikations-Controlling angesichts des Social Media-Phänomens aus Ihrer Sicht?  

Tom Watson: Einer der größten Herausforderungen ist es Social Media als Unternehmen sinnvoll zu nutzen, ganz besonders da es ein Phänomen von globaler Relevanz darstellt. Twitter und insbesondere Facebook wachsen rasant. Was einst als Kommunikationstool für Studenten startete, hat sich zu einem generationsüberspannenden Phänomen gewandelt. Es ist enorm schwer aus dieser breitflächigen Nutzung Erkenntnisse zu gewinnen. Ich denke, hier wird das übliche Problem sichtbar, dass Menschen dazu neigen, nach simplen Antworten in komplexen Themenfeldern zu suchen. Obwohl Social Media uns dazu befähigt, Inhalte zu teilen, macht dieses Verhalten keine Aussage zu dem eigentlichen Social Media-Engagement. Menschen neigen dazu, reinen Kontakt mit richtigem Engagement zu verwechseln, folglich wird ein einfaches „Like“ bei Facebook oder ein „Retweet“ bei Twitter häufig überinterpretiert. Die anderen und wahrscheinlich auch wichtigeren Herausforderungen drehen sich um die unscharfe Grenzziehung zwischen Social Media und den traditionellen Medien und um das Thema des Agenda Settings. In diesem Feld gibt es sehr viele Forschungsbemühungen. Eines der wichtigsten Ergebnisse ist die Erkenntnis, dass Menschen immer noch mehr traditionelle Medien konsumieren, doch dass sie dies im Internet und sozialen Netzwerken tun. Vor zehn Jahren mussten wir noch das Haus verlassen, um uns beispielsweise eine Zeitung zu kaufen oder aber wir mussten den Fernseher zu einem bestimmten Zeitpunkt einschalten. Heutzutage können wir jede Art der Information zu jeder Zeit bekommen. In dieser neuen Situation stellt sich zudem die Frage der Themen-Verantwortlichkeit auf der Medien-Agenda. Der letzte Report, den ich zu diesem Thema gelesen habe, argumentiert, dass insbesondere in ländlichen Gegenden Graswurzel-Journalismus eine große Rolle spielt. Bürger-Journalisten spüren verschiedene Geschichten auf, veröffentlichen Bilder und verbreiten diese mit der Hilfe von sozialen Netzwerken. Erst durch diese Aktivitäten werden traditionelle Medien auf bestimmte Themen und Ereignisse aufmerksam gemacht. Diese Situation erschwert es enorm, den eigentlichen Ursprung eines Themas zu bestimmen. Social Media-Messung kann Licht ins Dunkle bringen und Transparenz herstellen.

cc.de: Was bedeutet diese Entwicklung für Mess- und Evaluations-Methoden und unser Verständnis für das Monitoring des Kommunikationsprozesses?

Tom Watson: Ich denke, dass es eventuell einfacher ist, traditionelle Medien zu messen, weil diese in einer strukturierteren Form vorliegen. Dagegen ist es enorm schwierig, valide Erkenntnisse aus der Social Media-Nutzung zu gewinnen. Dies führt uns zurück zu der Diskussion rund um das Thema Engagement, die ich an früherer Stelle bereits angestoßen habe. Für Unternehmen gleicht es einer Gratwanderung, zwischen Stakeholdern zu differenzieren, die mit einem bestimmten Content in sozialen Netzwerken nur in Berührung kommen und denjenigen, die diesen wirklich verstehen, verinnerlichen und eine Handlung anschließen. Nur letzteres würde ich als Engagement im Kern bezeichnen. Organisationen müssen stets hinterfragen, ob ihre Beziehung zu Stakeholdern eine gewisse Tiefe besitzt. Wir befinden uns hier auf Lindenmanns „Outtake“-Ebene, die danach fragt, wie Rezipienten eine Information verarbeiten.
Auch Hon und Grunig beschäftigen sich in ihrem Paper aus dem Jahre 1999 mit der Engagement-Diskussion und der Beziehung zwischen einer Organisation und ihren Bezugsgruppen. Die Autoren definieren vier Dimensionen: „Control mutuality“, „Trust“, „Commitment“ und „Satisfaction“. „Control mutuality“ beschreibt das Wechselspiel zwischen zwei Personen und die gegenseitige Ideenbeeinflussung; dies spiegelt folglich den Engagement-Gedanken wider.

cc.de: Denken Sie, dass die Entwicklung von neuen Bezugsrahmen und Konzepten, wie dem AMEC Social Media Valid Framework, nötig ist? Und wenn ja, warum?

Tom Watson: Es ist wichtig zu verstehen, dass die AMEC nicht danach strebt, nur eine richtige Art des Kommunikations-Controllings vorzugeben. Vielmehr versucht sie eine Bandbreite von angemessenen Verfahren, Methoden und Kennzahlen zu entwickeln. Auf dem langen Weg zu einem organisierten, regulären, wiederhol- und replizierbaren Standard der Public Relations-Messung und Evaluation, werden wir immer wieder Hindernisse wie methodische Ungenauigkeiten überwinden müssen. Das kann natürlich der Grund dafür sein, warum manche Menschen sich immer noch die alten Zeiten zurück wünschen, in denen der Werbeäquivalenzwert oder andere schwache, aber simple Verfahren noch üblich waren. Ich denke aber, dass es unser Ziel sein muss, eine hinreichend große Methoden-Bandbreite zu etablieren.
Abschließend eine kleine Anekdote: Ich erinnere mich an den ersten AMEC-Summit, der 2009 in Berlin stattfand. Dort erzählte ein Repräsentant der Britischen Regierung, dass sie fünf verschiedenen Medienbeobachtungs-Agenturen fünf Mal dieselben Medieninhalte zur Verfügung gestellt haben. Alle erhielten den einheitlichen Auftrag, diese anhand festgelegter Kriterien zu evaluieren. Das Ergebnis waren fünf extrem verschiedene Interpretationen und Ergebnisse. Schlussendlich kann ich nur hoffen, dass wir mittlerweile über dieses methodische Chaos hinausgekommen sind.

cc.de: Professor Watson, vielen Dank für das Gespräch!


Über Tom Watson

Tom Watson ist Professor für Public Relations an der Bournemouth University in Großbritannien. Bevor er seine wissenschaftliche Laufbahn begann, war Watson international im Bereich Journalismus und PR tätig. Forschungsschwerpunkt von Tom Watson sind die PR-Evaluation sowie Reputation- und Issues-Management. Darüber hinaus forscht er zum Thema PR-Geschichte und hat im Jahr 2010 die International History of Public Relations Conference ins Leben gerufen. Tom Watson ist zudem Mitglied des Chartered Institute of Public Relations und Gründungsmitglied der Public Relations Consultants Association in Großbritannien. Zusätzlich fungiert Watson als Mitherausgeber des Journal of Communication Management.

Literaturtipp:

Watson, T., & Noble, P. (2014). Evaluating Public Relations. A Guide to Planning, Research and Measurement (3., überarbeitete Auflage). London: Kogan Page.


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